„Bernd, willst du mein Papa sein?“

Kinderhilfswerks-Gründer Siggelkow trifft in Assamstadt auf offene Ohren

Mit Erzählungen aus dem Alltag macht Pastor Siggelkow bei seinem Vortragsabend deutlich: Viele Kinder in Deutschland leiden an emotionaler Armut.

Assamstadt. „Die Mitarbeiter des Kinderhilfswerks ,Arche‘ glauben fest daran, dass jedes Kind etwas Einzigartiges mit in die Welt bringt. Und sie sehen es als ihre Aufgabe an, das Kind dabei zu unterstützen, dieses Besondere in sich zu entdecken“, führte Anja Scherer auf den Vortragsabend vor einer Woche mit dem „Arche“-Gründer Bernd Siggelkow ein, der auf Einladung des Heimat- und Kulturvereins nach Assamstadt gekommen war.

 

„Was wäre, wenn Sie andere Eltern gehabt hätten oder unter anderen Rahmenbedingungen aufgewachsen wären? Säßen Sie heute hier?“, fragt Siggelkow in die Runde, um die Zuhörer für die Welt von Kindern zu sensibilisieren, mit deren Nöten er sich tagtäglich beschäftigt. Als der Pastor in den Neunzigerjahren nach Berlin kam, um für eine Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche zu arbeiten, viel ihm bei dem Blick aus dem Fenster etwas auf: Er sah einen Spielplatz, auf dem sich viele Kinder tummelten. Nur waren da keine Erwachsenen zu sehen. Er ging runter auf die Straße, unterhielt sich mit den Kindern, spielte mit den Jungs Fußball und spürte schlagartig: „Den Kindern fehlen Bindungspersonen, die sie ernst nehmen“ – ein Schlüsselerlebnis, in dem er seine Lebensaufgabe fand. Und das ihn zur Gründung des Kinderhilfswerks „Die Arche“ motivierte.

Laut einer UNICEF-Studie von 2012 leben 2,5 Millionen Kinder in Deutschland in relativer Armut. Das ist eine Zahl, welche die ökonomische Komponente der Kinderarmut ausdrückt. Die eigene, einfache Definition Siggelkows, „ein Kind ist arm, wenn ihm etwas fehlt“, beinhaltet oft mehr, als nur die Geldsorgen der Erziehungsberechtigten. Sein Fazit aus rund 20 Jahren Arbeit mit Kindern lautet daher: „Unsere Gesellschaft krankt an Emotion“, oft fehlten den Kindern Beziehungspartner, die sie ernst nähmen, vermittelt der charismatische Redner den Gästen im Assamstadter Gemeindezentrum. Sonst würde er nicht Dinge erleben, wie die, dass ihn ein fremdes, sechsjähriges Mädchen fragt, „Bernd, willst du mein Papa sein?“, nur, weil er sich mit dem Mädchen beschäftigt.

Es folgen teils herzrührende, aber auch haarsträubende Erzählungen aus dem Alltag des Berliner Theologen, die zum Nachdenken anregen: Einer alleinerziehenden Mutter, die die Strafe fürs Schwarzfahren nicht bezahlen kann, droht Gefängnis – und den Kindern wiederum Heimaufenthalt. Gesetz ist Gesetz. Aber: „Was macht das mit den Kindern?“ Wer so nah an den Schicksalen von Menschen dran ist, wie Bernd Siggelkow, der spürt oft, „dass diese durch die Maschen der Systeme rutschen“. Siggelkow hat sich auf die Fahnen geschrieben, „unkompliziert helfen“ zu wollen. Das weiß scheinbar auch das Berliner Jugendamt, welches sich in einer Zwangslage gelegentlich direkt an ihn wendet. Dabei spürt der Arche-Gründer selbst, wie er mit seinem Konzept durch die Systemmaschen fällt, wenn es um Geldfragen geht: So finanziere die „Arche“ ihre Arbeit zu nahezu 100 Prozent aus Spenden.

 

Wie die Arche organisatorisch aufgestellt ist und welche Angebote es konkret in den Einrichtungen des Kinderhilfswerks gibt, beantwortete Arche-Vorstand Siggelkow nach dem einstündigen Vortrag in einer Fragerunde. Letztere mündet in persönliche Gespräche, die Bernd Siggelkow zu dem Fazit führen, in Assamstadt auf „ernsthaft interessierte Zuhörer gestoßen“ zu sein. Nach der Veranstaltung wurde ein Spendenerlös in Höhe von 660 Euro erzielt, der direkt an das Berliner Kinderhilfswerk überwiesen wurde. Wer mehr über die „Arche“ erfahren oder etwas spenden möchte, kann sich auf deren Internetseiten unter www.kinderprojekt-arche.eu informieren.